»Du willst wirklich nicht mehr
weiterspielen, Elisa?« -
»Nein, Paul, ich kann nicht mehr. Bis dann. - Auf Wiedersehen, Frau Cissy.« - »Aber
warum gehen Sie denn schon, Elisa? Es sind noch volle zwei Stunden bis zum Abendbrot.«
- »Spielen Sie nur Ihr Single mit Paul, Frau Cissy, mit mir ist's doch heut'
wahrhaftig kein Vergnügen.« - »Lassen Sie sie, Cissy, sie hat heut' ihren
ungnädigen Tag. - Steht dir übrigens ausgezeichnet zu Gesicht, das
Ungnädigsein, Elisa. - Und der rote Pulli noch besser.« - »Bei Blau wirst du
hoffentlich mehr Gnade finden, Paul. Tschüss.«
Das war ein ganz guter Abgang.
Hoffentlich glauben die Zwei nicht, dass ich eifersüchtig bin. - Dass sie was
miteinander haben, Cousin Paul und Cissy Mohr, darauf schwör' ich. Nichts auf der Welt ist mir gleichgültiger.
- Nun wende ich mich noch einmal um und winke ihnen zu. Ach Gott, sie spielen schon wieder. Eigentlich spiele ich
besser als Cissy Mohr; und Paul ist auch nicht gerade ein Matador. Aber gut
sieht er aus – mit dem offenen Kragen und dem Bösen-Jungen-Gesicht. Wenn er nur
weniger affektiert wäre. Brauchst keine Angst zu haben, Tante Emma . . .
Was für ein wundervoller Abend! Heut'
war das richtige Wetter für die Tour auf die
Rosetta-Hütte. Der
einäugige Amerikaner auf der Rosetta hat ausgesehen wie ein
Boxkämpfer. Nach
Amerika würd' ich ganz gern heiraten, aber keinen Amerikaner. Oder
ich heirat'
einen Amerikaner und wir leben in Europa. Villa an der Riviera.
Marmorstufen
ins Meer. Ich liege nackt auf dem Marmor. - Wie lang ist's her, dass
wir in Italien waren? Sieben oder acht Jahre. Ich war dreizehn oder
vierzehn. Ach ja,
damals waren wir noch reich. Um vier, wie ich
zum Tennis
gegangen bin, war der angekündigte E-Mail-Brief von Mama noch nicht
da. Wer weiß,
ob jetzt. Ich hätt' noch ganz gut ein Set spielen können. So ein Pech, das Handy zu Hause vergessen zu haben!
Warum geh' ich so langsam? Fürcht' ich mich am Ende vor Mamas Brief? Nun, Angenehmes wird er wohl nicht enthalten. Vielleicht muss ich wieder zurückfahren. O weh. Was für ein Leben. Die arme Verwandte, von der reichen Tante eingeladen. Sicher bereut sie's schon. Soll ich's dir schriftlich geben, teuere Tante, dass ich an Paul nicht im Traum denke? Ach, an niemanden denke ich. Ich bin nicht verliebt. In niemanden. Und war noch nie verliebt. Ich glaube, ich kann mich nicht verlieben. Eigentlich merkwürdig. Denn sinnlich bin ich gewiss. Aber auch hochgemut und ungnädig Gott sei Dank. Mit dreizehn war ich vielleicht das einzige Mal wirklich verliebt. Und wie ich sechzehn war, am Wörthersee. - Ach nein, das war nichts. Wozu nachdenken, ich schreibe ja keine Memoiren. Nicht einmal ein Tagebuch wie die Bertha. Nun, aber man wird ja geboren, um endlose innere Monologe zu fuhren... Paul ist mir sympathisch, nicht mehr. Vielleicht, wenn er eleganter wäre. Ich bin ja doch ein Snob. Der Papa findet's auch und lacht mich aus. Ach, lieber Papa, du machst mir viel Sorgen. Ob er die Mama einmal betrogen hat? Sicher, öfters. Mama ist ziemlich dumm. Von mir hat sie keine Ahnung. Himmlischer Abend. Wie festlich das Hotel aussieht. Man spürt: Lauter Leute, denen es gut geht und die keine Sorgen haben. Sie konnen sich einen all inclusive-Aufenthalt im Hotel mit Schwimmbad, Sauna, Fitness und free Internet leisten ohne auf Einladung von reichen Tanten zu warten. Schad'. Ich wär' zu einem sorgenlosen Leben geboren. Es könnt' so schön sein. Ach, warum muss man wieder zurück in die Stadt!
»Guten Abend, Elisa.« - »Guten Abend, Herr von Dorsday.« - »Kommen Sie
vom Tennis?« - »Was für ein Scharfblick, Herr von Dorsday.« - »Spotten
Sie nicht, Elisa. Wenn man mit dem Rakett so gut ausschaut, darf man es
gewissermaßen auch als Schmuck tragen.« - Esel, darauf antworte ich gar
nicht. »Den ganzen Nachmittag haben wir gespielt. Wir waren leider nur Drei.
Paul, Frau Mohr und ich.« - »Ich war früher ein ausgezeichneter
Tennisspieler.« - »Und jetzt nicht mehr?« - »Jetzt bin ich zu alt dazu.«
- »Ach, alt, vor einigen Jahren in Italien, da war ein fünfundsechzigjähriger Schwede,
der spielte jeden Abend von sechs bis acht Uhr. Und im Jahr vorher hat er sogar
noch bei einem Turnier mitgespielt.« - »Nun, fünfundsechzig bin ich Gott sei
Dank noch nicht, aber leider auch kein Schwede.« - Warum leider? Das hält
er wohl für einen Witz. Das Beste, ich lächle höflich und gehe. >Auf
Wiedersehen, Herr von Dorsday«. Wie tief er sich verbeugt und was für Augen er
macht. Kalbsaugen. Hab ich ihn am Ende verletzt mit dem fünfundsechzigjährigen
Schweden? Schadet auch nichts.
Ach, wär der
Mailbrief lieber schon da. Wenn er
nicht kommt, hab' ich eine unruhige Nacht. Auch die vorige Nacht hab' ich so
miserabel geschlafen. Freilich, es sind gerade diese Tage. Drum hab' ich auch
das Ziehen in den Beinen. Dritter September ist heute. Also wahrscheinlich am
sechsten. Ich werde heute Schlaftabletten nehmen. O, ich werde mich nicht daran
gewöhnen. Nein, lieber Paul, du musst nicht besorgt sein. - Versuchen sollte man alles, - auch Haschisch. Der Freund von Bertha, Brandel, hat einmal Haschisch mitgebracht. Man soll danach prachtvolle Visionenhaben. Brandel hat mich eingeladen
mit ihm Haschisch zu rauchen – Frecher Kerl. Aber
hübsch. -
Ein Italiener könnte mir gefährlich werden. Schade, dass der schöne schwarzhaarige Junge schon wieder fort ist. So, da wär' ich. Nummer siebenundsiebzig. Eigentlich eine Glücksnummer. Hübsches Zimmer. Dort steht mein jungfräuliches Bett. – Ich muss doch wohl die Mailbox aufmachen... Eigentlich ist Paul schüchtern. Ein Arzt, ein Frauenarzt! Vielleicht gerade deshalb. Vorgestern im Wald, wie wir so weit voraus waren, hätt' er schon etwas unternehmender sein dürfen. Aber dann wäre es ihm übel ergangen. Wirklich unternehmend war eigentlich mir gegenüber noch niemand. Höchstens am Wörthersee vor drei Jahren im Bad. Unternehmend? Nein, unanständig war er ganz einfach. Aber schön. Apoll vom Belvedere. Ich hab' es ja eigentlich nicht ganz verstanden damals. Nun ja mit - sechzehn Jahren.
Die Email muss sich ja gar nicht auf den Papa beziehen. Könnte es nicht
auch etwas mit meinem Bruder
sein? Vielleicht hat er eine seiner Freundinnen
geheiratet, die Kassiererin bei REAL oder das Putzmädchen in Papas Büro? Ach nein, dazu ist er
wohl doch zu gescheit. Eigentlich weiß ich ja nicht viel von ihm. Wie ich
sechzehn war und er einundzwanzig, da waren wir eine Zeitlang geradezu
befreundet. Von einer gewissen Yasemin hat er mir viel erzählt. Dann hat er
plötzlich aufgehört und ist so verschlossen und geistesabwesend geworden... Oder hat Papa schon wieder Schulden
gemacht? Furchtbar, seine Spielsucht - Nun ist sie offen, die Mailbox, und
ich hab' gar nicht bemerkt, dass ich sie aufgemacht habe. Ich setze mich mit
dem Laptop ans Fenster und lese die Mail. Vorsicht, dass ich dabei nicht hinaus falle vor Bestürzung ...